Elemente des Zeitalters

Peter Glaser
Anmerkungen zu den Arbeiten von Christoph Hildebrand
2009

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I.

 

Das Feuer I Auf die Arbeiten von Christoph Hildebrand führen zwei Vorfelder zu. Das eine reicht ein paar hunderttausend Jahre zurück. Mit der Beherrschung des Feuers hat die menschliche Kultur ihren Anfang genommen, und von den ersten Feuern reicht ein erstaunlich direkter Bogen herauf zu den elektrischen Lagerfeuern unserer Zeit. Jedes andere Lebewesen flieht das Feuer, nur der Mensch kam im Schutzschirm der Flammen zum ersten Mal zur Ruhe, zu einem fundamentalen Augenblick des Friedens, von dem die großen Mythen heute noch erzählen – dem Paradies. Seit Jahrhunderttausenden erzählt das Feuer die Geschichte der Welt. Gleich wie seit je die Faszination, ins Feuer zu schauen. Die magische Ferne, aus der Bilder und Bilder aufsteigen, die hypnotische Besänftigung, das Funkenglitzern der Inspiration, das neuronale Funkeln. Ein jeder erkennt dieses uralte Behagen wieder, wenn er etwa einen eingeschalteten Fernseher sieht oder vor seinem PC sitzt und durch den Datenraum schwebt, durch die Welt als ein Leuchten.

 

Das Verbindende I Das zweite Vorfeld ist näher, auch an der Person. In den siebziger Jahren, während einer Fahrradreise durch Italien, kam das Licht ins Spiel. Von der Kunst, wie sie dort seit Jahrhunderten überall in den Alltag mit eingeformt ist, im Freien, auf Plätzen, weithin, wurde Christoph Hildebrand berührt, auf eine große Art. Man hat, sagt er, die Integration von allem, was schön ist. Es ist nicht weggepackt in Museen, sondern es ist lebbar. Alles ist derart aufeinander abgestimmt, dass es Sinn macht. Und jeder hat daran teil. Es gibt keine Schwelle. Und dieses Licht, das der Süden einer entgegenkommenden Natur verdankt. Seither ist klar, dass der künstlerische Raum immer mit dem öffentlichen Raum zu tun hat und mehr noch: möglichst unauflöslich verbunden sein soll mit dem konkreten Ort, an dem die Kunst stattfindet. Es ist eine, wie es sich für die Kunst gehört, unerzwungene Umarmung, ein Durchdringen. Was ich am liebsten mache, sagt Christoph Hildebrand: dass es perfekt passt.

 

Das Elementare I Zur Perfektion braucht es klare Grundzüge und den Willen zu elementarem Ausdruck. In der Kunst bedeutet dieser Versuch, das Viele im Einen zu zeigen. Es ist die moderne, mutige Herangehensweise an die Welt, sie öffnet den Blick für ihre Komplexitäten. Man lebt, wenn man auf die Welt kommt, nicht auf einer weissen Fläche, sagt Christoph Hildebrand. Wir sind in zahllose Kontexte eingebunden. Jede Handlung hat zahllose Referenzen in andere Bereiche hinein, die auch mitbestimmt werden von den anderen Kontexten. Es gibt keine unschuldige Handlung. In dieses Strömen von Wirklichkeit, das aus den Tiefen der Geschichte hochführt und sich zu Gegenwärtigem ausbreitet und ausgebreitet wird, um weiter nach dem Möglichen hinzugehen, in dieses Ineinandergreifen, stellt Hildebrand seine Kunst, die klar und uneitel ist. Sie weist nicht auf sich selbst, sondern auf ihre Bedingungen. Mit leuchtender Leichtigkeit läßt sie den Grad an Vernetzung erspüren. Und sie fragt: Was ist das heute – Identität?

 

II.

 

Die Vision I Im Vorland des Kilimandscharo, an der Grenze zwischen Kenia und Tansania, liegt Amboseli, in der Sprache der Massai die "leere Weite". Hier läßt sich der Urraum des Bewußtseins denken, der sich aus den Köpfen der Frühmenschen in die Welt ausbreitete. Vor zwei Millionen Jahren glühten hier Vulkane, später die ersten Feuer, die vom Menschen entfacht wurden und ihm zum ersten Mal erlaubten, die kreatürliche Anspannung in einer unaufhörlich gefährlichen Umwelt abzulegen. Hier beginnt der Traum einer von allen Bedrohungen bereinigten Welt. Und schon damals konnten Menschen sehen, was sich uns heute durch einen Blick aus einem Flugzeugfenster zeigt, während es über einer nächtlichen Stadt zur Landung ansetzt. In der Glut – in der zu winzigen Avenues, Straßenschluchten und Blöcken aufgeplatzten Baumrinde verglühenden Feuerholzes und den verwehenden Lichtflügen darin – sah der Mensch der Vorzeit bereits das Erscheinungsbild der nachtleuchtenden Städte des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

 

Die Zeichen I Die rätselhaft schöne, reine, vielfältige Grammatik, mit der Christoph Hildebrand für uns Dinge und Zeichen anordnet, ist bestückt mit leuchtenden Piktogrammen. Wie die Originalsubstanz des Geistes scheinen sie aus sich selbst. Die Piktogramme, die in alle Arbeiten vorkommen, lassen sich in drei Gruppen einteilen. Das eine sind die Screens – Geordnetes. Es hat etwas von Matrix oder Tabelle, etwas mathematisch Klares, Kristallines. Und jeder dieser Kunstkristalle bezieht sich jeweils auf den Ort, an dem er eingerichtet wird. Die zweite Gruppe sind die Piktogramme selbst. Sie funktionieren in der Menge, aber auch als Einzelne. Und dann gibt es noch die Form des Hauses. Das Feuer, das chaotische Element, sieht man dann beispielsweise auch in einem Gewächshaus, in animierter Form. Hinzu kommen die Spiegeleffekte, denn die Wände des Hauses sind aus Glas und das Ganze funktioniert wie ein Kaleidoskop. Alles zusammen läßt einen die Dimensionalität der Kulturgeschichte spüren.

 

Die Behausung I Das transparente Haus ist ein Bild das in sich selbst wohnt; dazu noch ist es ein Bild zivilisierter Natur, des Glashauses nämlich. Und das raumtiefe Bild wohnt in vollkommener Offenheit. Wie Feuchtigkeit auf einem Löschblatt breitet sich die Transparenz inzwischen in die Umgebung des jeweils speziell adaptierten Hauses aus; Feuchtigkeit aus Feuer. Erst standen die gläsernen Häuser, in denen Neonzeichen wohnen, noch für sich. Inzwischen diffundieren sie in ihr Ambiente. Die Spiegelungstiefen benachbarter Scheiben oder Wasserflächen zum Beispiel werden dem Haus gewissermaßen als Bedeutungsgrundstücke hinzugefügt. In der Spiegelung werden die Zeichen pur. Waren es zuvor noch Neonröhren und kaschierte Schaltungssockel, ist es in den Scheiben des Hauses tatsächlich nur noch Licht. Das Zeichen ist nur noch das Zeichen. Licht und Glas müssen immer zusammengedacht werden. Spiegelndes Glas im Dunklen wird Teil des Kunstwerks. Das habe ich, sagt Christoph Hildebrand, erst schrittweise begriffen.

 

III

 

Der Formfresser I Ein Feuer der Altsteinzeit. Eben noch war Form kaum mehr als ein Signal für Nahrung, Flucht, Angriff. Eben noch diese Irritationen, wie von einem unsichtbaren wilden Gegner - ein außergewöhnlicher Wachstumsschub der Hirnrinde eröffnet dem Menschen unermessliche neue Dimensionen, ein Feuerwerk aus Ängsten, Phantomen, Vorstellungen. Schon sitzen Menschen um ein Feuer, das Wappen des Chaos. Das Feuer, der Formfresser, der Materie in Licht und Hitze und die interimistische Form des Flackerns auflöst. Und das Feuer, diese Fontäne aus Bildern und Gestalten, die direkt aus den brennenden Stoffen in die Flammen aufzusteigen scheinen. Das Feuer, welches Höhlen aus Licht baut, Zelte aus Helligkeit errichtet, in die kein Tier sich wagt, in denen Licht und Schatten alles scharf modellieren und die Flammen es tanzen lassen; Höhlen aus Zeit, in denen der ununterbrochene Überlebenskampf ruht und der Geist erwacht, und die Erde denkt.

 

Die Lage I Es waren allen voran die Künstler, die bereits zu Anfang des zurückliegenden Jahrhunderts die heutige Lage vorausgesehen haben. Die Kubisten klebten Zeitungsschnipsel in ihre Bilder und verdeutlichten die Notwendigkeit einer globalen Sicht, die mehr als eine Ansicht erfaßt. Sie zeigten in ihren Bildern die Erscheinungen der Welt in multiperspektivischen Facetten, die bereits den Polygonflächen der Computergrafik gleichen. Unsere schriftgeprägte Neigung, lineare Abfolgen zu entwickeln, nimmt ab, der Wunsch nach Weiterem, nach Vielschichtigkeit, nimmt zu. Unser Weg führt aus dem Einen ins Viele. Es geht aus dem Mechanisch-Linearen ins Organisch-Strukturale, ins Verzweigte, Verlinkte, Vernetzte, in tiefenskalierbare Mannigfaltigkeiten wie jene, die wir Medienraum nennen und jene, die wir Die gewohnte Welt der Dinge nennen. Das alte Denken ist zu Ende. Aus Arbeit, auch der künstlerischen, wird Arbyte.

 

Das Regelmaß I Schon Merkmal der frühen Arbeiten ist das Regelmaß. Anfang der achtziger Jahre ist bereits klar: Das Pixel ist das kleinste Bildelement. Aus modularen Atomen, etwa Standardfliesen oder Normcontainern, entstehen Bedeutungsorganismen. Sie bauen auf dem Quadrat auf, dem Großpixel; dann auf den ersten Computerbetriebssystemen, die sich seither in Bildsprachen an ihre Nutzer wenden; dann auf Piktogrammen aus Neon, die sich zu einem Alphabet des Zeitalters versammeln. Die Kunst steht nie nur in sich selbst. Und der Bezug zum Ort ist nun immer mit dem Objekt verbunden. So wie ein Bildhauer etwas in eine Form bringt und ein Maler mit einem Bild etwas verdeutlicht, verständlich macht, handhabbar macht, entwickelt Christoph Hildebrand einen neuen Satz an Materialien,Werkzeugen und Sagbarem. Es ist ein persönliches Periodensystem der Elemente. Jedes Element ist ein an Deutlichkeit und Einfachheit nicht mehr zu übertreffendes Zeichen. Es ist so einfach und so vielschichtig wie möglich.

 

IV.

 

Der Funke I Der weitere Fortschritt in der Feuerbeherrschung trennte Licht und Hitze voneinander ab, schließlich wurde das Feuer mit dem elektrischen Strom in unsichtbaren Wellen verflüssigbar, über beliebige Entfernungen leitbar und nach Wunsch als Licht, Hitze oder Kraft rückformbar. Der Bildschirm zeigt, zu welcher Vollkommenheit wir die Beherrschung des Feuers entwickelt haben: Pixel für Pixel, Fünkchen für Fünkchen. Was ist ein Bildschirm anderes als die technische Fortführung des Ofenlochs? Heute zeigen sich Bilder nicht mehr im Auflicht, sondern im Durchlicht, als kybernetische Kirchenfenster. Bei Christoph Hildebrand leuchtet das Bild aus sich selbst. Es sind ja, sagt Hildebrand, eigentlich Bildschirme, die ich mache. Das Licht kam als eine Erweiterung der Mittel ins Bild. Dass es leuchtende Neonröhren sind, liegt an der Reduktion auf das Elementare. Es soll mit einer Linie dargestellt werden können. Es sind Geschichten in Geschichten, die von den piktographischen Elementen erzählt werden.

 

Der Kartograph I Der Reichtum und der belebenden Geist der Formen ist in den Arbeiten von Christoph Hildebrand brilliant und zugleich spielerisch gefaßt. Die klassischen Elemente der euklidischen Geometrie haben hier etwas überaus Beruhigendes. Sie vermitteln ein starkes, unverzügliches Gefühl von Ordnung, und sie sind ebenmäßig, sauber und anspruchslos. Die Mathematik aber beschreibt eine Welt ohne Geschichte. Elemente: Es sind die Moleküle, aus denen sich hier ein ungewöhlich starker Wunsch nach Klarheit zusammenzusetzen scheint. Es gibt in der Mathematik bei Gleichungen oder Vektorsystemen immer eine Minimalzahl von Werten, die man braucht, um eine Ausgangslage zu definieren. Was darüber hinausgeht, ist bereits wieder redundant; was weniger ist, reicht nicht aus. Die Kunst, Quintessenzen zu finden, und das genau im Maß, ergibt ein axiomatisches System, das versucht, unsere Zivilisation abzubilden. Nicht nur die westliche, sondern die gesamte. Was Christoph Hildebrand betreibt, ist eine besondere Art der Kartographie.

 

Der Ausblick I Immer mehr Information fällt immer schneller an und brandet an unsere Aufmerksamkeit. Die Zivilisation wird zur Zuvielisation. Je kompakter und intelligenter jemand seine Ideen oder Informationen nun aufbereitet, desto wertvoller wird sein Beitrag. Die an Menge orientierte Mentalität des "Mehr ist besser" stammt noch aus der Zeit des rein materiellen Warenaustauschs. In einer Informationsgesellschaft gelten Redundanz und Geschwätzigkeit als Formen virtueller Umweltverschmutzung. Will man die Information als Substanz haben, wird klar, dass es nur Neon sein konnte. Die Neonröhre ist kein Hilfsmittel, sie ist selbst die Form. Und es geht nicht nur darum, Inhalte dazustellen. Zugleich ist auch das ganze Immaterielle der Digitalkommunikation gemeint. Der Versuch, eine komplexe Welt auf bestimmte einfache Gesetze zu reduzieren. Dass es Versuche sind, dieses Überbordende an den Phänomenen des Zeitalters in greifbare Bilder zu verwandeln, das kann man seinen Arbeiten ohne weiteres unterstellen.

 

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