TIME
Ruhrlights / RUHR.2010
Baldeneysee
2010
Der Regattaturm am Baldeneysee ist ein eigenartiges architektonisches Gebilde. Es ist ein funktionalistischer Stahlskelettbau, der gestuft nach vorne auskragt, mit Monumentalität und Transparenz und rückseitiger außenliegender Wendeltreppe versehen. Bei den vielfältigen auf dem See ausgeübten Wassersportarten dient er den Kampfrichtern um über Siege und Niederlagen zu entscheiden. Diese einerseits eindrucksvolle Landmarke und andererseits schwierige Vorgabe regte den Licht- und Medienkünstler Christoph Hildebrand zu einer temporären Intervention aus Uhren an: 20 an der Zahl, größere und kleinere, platziert auf dem Dach in unterschiedlichen Höhen, in verschiedene Richtungen ausgerichtet und ebenso verschiedene Zeiten anzeigend. Bei genauerem Beobachten stellt man fest, daß die Uhren vom normalen Zeittempo entkoppelt, unterschiedlich schnell laufen und dabei fortwährend ihr Tempo ändern: der dahin schleichende Minutenzeiger einer Uhr dreht sich neben einem aufgeregt rotierenden Stundenzeigern einer benachbarten Uhr, um plötzlich in einer Aufholjagd das Tempo zu forcieren. Das ergibt zuerst alles keinen Sinn.
Immer wieder haben Künstler mit dem Thema Zeit und Uhren gearbeitet. Der Grund für die fortwährende Faszination für das Phänomen Zeit und Vergänglichkeit ist einfach und liegt auf der Hand, stellt die messbare Zeit doch einen überaus konkreten Beweis für unser Leben, das Vergehen desselben dar und speist darüber hinaus als omnipräsentes Macht- Moment ohne Möglichkeiten der Beeinflussung eine auch physische wie philosophische Diskussion. Zudem war die exakte Zeit ein konstituierendes Moment der modernen Industriegesellschaft.
In Christoph Hildebrands Arbeit "Time" für RuhrLights 2010 wird die Uhr in ihrer seriellen Häufung als analoge Rundscheibenuhr zu einem nur vermeintlich absurden Ensemble auf dem Dach des Regattaturmes. Die Uhr ist bei Christoph Hildebrand in seinem zivilisatorischen Mapping ein immer widerkehrendes Symbol, eines seiner "Top Ten Icons", die er in vielfältigen Situationen und Installationen bereits einsetzte.
In "TIME" sind die Uhren das Gegenstück zur Normaluhr. Jene zentral gesteuerten, normal laufenden Uhren mit ihren springenden Sekunden und Minutenzeigern, die nach einer amtlichen, für ganz Deutschland (und die Welt) verbindlichen Uhrzeit getaktet werden. Diese normierte Zeit erlaubt kein Ausweichen, läßt keinen Raum für Freiheit und Individualität. Pünktlichkeit ist erste Tugend. Die Normalzeit diktiert metaphorisch nicht nur den menschlichen Zeitablauf, sondern auch eine gesellschaftliche Konformität.
Christoph Hildebrand versteht die Uhren als Individuen, die nach ihrer eigenen, widernatürlichen Zeit gehen und dabei faszinierend und erschreckend zugleich ihrer eigenen Dramaturgie folgen. Die Möglichkeiten aktueller Steuerungstechniken erlauben ihm jedoch über den individuellen Zeitablauf der einzelnen Uhr hinaus auch eine gemeinsame konzertante Dramaturgie der Be- und Entschleunigung, bei der die Zeit auch einmal rückwärts gehen kann.
In dem Wechselspiel von ungewohnter, eigener Individualität eines auf Konformität und Präzision ausgerichteten vertrauten Objekts und der synchronisierten Choreographie wird einem schlagartig die überaus subjektive und oft so empfundene Wahrnehmung von Zeit anschaulich. Die Zeit hat regional, situativ, persönlich, religiös, medial und historisch zahlreiche Gesichter, Ausdrucksformen und Prägungen. Das Ruhrtal, in dem der Regattaturm steht, war der Ausgangspunkt der industriellen Ausbeute der Kohlelager, jetzt ist es Naturreservat und Erholungsgebiet. "TIME" stellt eben auch die Frage, die an der Ruhr eine zentrale ist: Wie wird die Ruhrmetropole in der Zukunft ticken?
Auszug aus dem Text von Dr. Gregor Jansen für den Katalog von "Ruhrlights". Der vollständige Text findet sich hier...
TECHNIK
Sonderanfertigung
Aluminiumgehäuse
Acrylglashaube
Beleuchtete Zifferblätter
Antrieb über Schrittmotoren
Kugelgelagerte Getriebe
Balancierte Minuten-/Stundenzeiger
Bis zu 4 Umdrehungen/Sekunde
Durchmesser 60, 80, 100, 120cm
Externe Steuerung
Aluminiumprofile
Insgesamt 20 Uhren
FOTOS
Werner Hannapel©2010
Christoph Hildebrand©2010